Viele Baumeister erstellen im Rahmen ihrer selbständigen Tätigkeit Gutachten zu verschiedenen Fachgebieten im Hoch- und Tiefbau. Dabei unterscheidet man Privatgutachten, Gutachten im Verwaltungsverfahren und Gerichtsgutachten, also Gutachten, die im Auftrag eines Gerichts durch Gerichtssachverständige erstellt werden.
Bei der Erstellung von Privatgutachten ist eine Gewerbeberechtigung dann erforderlich, sobald die Merkmale der Gewerbsmäßigkeit – namentlich die Selbständigkeit, Regelmäßigkeit und Gewinnerzielungsabsicht – zutreffen. Vereinfachend gesagt bedeuten diese drei Merkmale, dass das Gutachten „auf eigene Rechnung“ gegen Entgelt erbracht wird und die Gutachtenserbringung kein Einzelfall ist. Das Recht, Privatgutachten zu erstellen, kommt jedem Gewerbetreibenden auf seinem Fachgebiet zu. So ist es dem Baumeister allein ob seiner Gewerbeberechtigung erlaubt, Privatgutachten auf den Gebieten Hoch- und Tiefbau zu erbringen. Dieses Recht ist dem Planungsbereich des Baumeisters zuzuordnen, weshalb er Gutachten über Gebäude erstellen und dabei auch auf andere Gewerke eingehen darf. Dadurch wird deutlich, dass jeder, der Privatgutachten auf den Gebieten Hoch- und Tiefbau gewerbsmäßig verfassen möchte, eine Gewerbeberechtigung als „Baumeister“ benötigt oder aber ein Ziviltechniker sein muss.
Gutachten im Gerichtsverfahren
Für die Tätigkeit als Sachverständiger im Gerichtsverfahren sind die Bestimmungen der ZPO (im Zivilprozess) bzw. der StPO (im Strafprozess) einschlägig. Nach diesen Bestimmungen kann der Richter grundsätzlich jede geeignete Person zum Sachverständigen (SV) bestellen. Allerdings ist vorgesehen, dass primär auf die allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen zurückzugreifen ist. Für diese gilt das SDG (Sachverständigen- und Dolmetschergesetz), in dem geregelt ist, welche Voraussetzungen eine Person erfüllen muss, um auf der Liste der allgemein beeideten Sachverständigen geführt zu werden.
Gutachten im Verwaltungsverfahren
Für die Tätigkeit als Sachverständiger im Verwaltungsverfahren sind wiederum die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) einschlägig, die weitaus weniger umfassend sind als jene der ZPO. Das AVG sieht vor, dass die Verwaltungsbehörde primär Amtssachverständige (das sind Beamte mit entsprechender Fachausbildung) einsetzen soll. Nur wenn dies nicht möglich ist, können auch andere Sachverständige herangezogen werden - das SDG gilt in diesem Fall nicht.
Aus gewerberechtlicher Sicht ist festzuhalten, dass sowohl im Gerichts- als auch im Verwaltungsverfahren keine Gewerbeberechtigung erforderlich ist, sofern der Sachverständige seine Gutachten nicht hauptberuflich erstellt.
Tätigkeit als Gerichtssachverständiger
Allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige sind Personen, die nach einem eigenen Zertifizierungsverfahren in die Gerichtssachverständigenliste eingetragen werden (https://sdgliste.justiz.gv.at). Diese Personenzertifizierung nach dem SDG beinhaltet eine Qualitätsprüfung und stellt sicher, dass nur höchstqualifizierte, absolut integre und zuverlässige Experten bei Gericht als Sachverständige eingesetzt werden. Bei der in einem Zertifizierungsverfahren abzulegenden Prüfung sind sowohl hohe Kenntnisse im jeweiligen Fachbereich („Sachkunde“) als auch rechtliches Wissen im Bereich des Sachverständigenwesens nachzuweisen. Für die Eintragung in die Gerichtssachverständigen- und Gerichtsdolmetscherliste ist neben den erwähnten fachlichen Voraussetzungen unter anderem auch eine – je nach Ausbildung– bis zu zehnjährige Berufserfahrung in verantwortlicher Stellung nachzuweisen. Weiters muss für die Eintragung eine entsprechende Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden.
SV-Nomenklatur
Die sogenannte „Nomenklatur“ ist die Einteilung aller bei Gericht infrage kommenden Bereiche in Fachgruppen und Fachgebiete von Sachverständigen. Ein Großteil des Baubereichs wird mit den Fachgruppen 72 „Bauwesen“ und 73 „Baugewerbe und Innenarchitektur“ abgedeckt, der Immobilienbereich mit der Fachgruppe 94 „Immobilien (Bewertung, Verwaltung, Nutzung)“.
Neue VwGH-Entscheidung zum Sachkunde-Nachweis
In der höchstgerichtlichen Entscheidung Ra 2018/03/0122 entschied der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) über einen Baumeister, der gemäß SDG in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen eingetragen war und diese – mit Ende 2016 befristete – Eintragung rezertifizieren lassen wollte. Nachdem er für diese Rezertifizierung jedoch weder (für das Handelsgericht ausreichende) Gutachten zum Nachweis seiner Sachkunde vorlegen konnte, noch zu einer neuerlichen Prüfung gem § 4a SDG antreten wollte, wurde ihm diese verweigert. Sein Argument, dass für ihn als Baumeister eine neuerliche Prüfung gem. § 4a Abs 2 letzter Satz SDG entfallen könne, weil er „einen Beruf ausübe, dessen Zugangs- und Ausübungsvoraussetzungen in einer österreichischen Berufsordnung umfassend gesetzlich festgelegt sind und zu dem auch die Erstattung von Gutachten gehört“, ließen die Höchstrichter nicht gelten. Dies wurde damit begründet, dass die für den Baumeister relevante Gewerbeordnung (anders als bei den Ingenieurbüros nach § 134 GewO) nicht explizit statuiert, dass der Baumeister gesetzlich zur Erstattung von Gutachten legitimiert ist.
Das heißt jedoch nicht, dass der Baumeister keine Gutachten erstellen darf. Wie bereits ausgeführt, darf er Privatgutachten Kraft seiner Gewerbeberechtigung sowieso erstellen. Auch in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen kann er sich jederzeit eintragen lassen, sofern er die Voraussetzungen des SDG nachweist, was dem besagten Baumeister gemäß der vorliegenden VwGH-Entscheidung nicht gelang.
Kritische Würdigung der VwGH-Entscheidung
Der VwGH legte seiner Entscheidung die Rechtsmeinung zugrunde, dass die Erstattung von Gutachten nicht zum gesetzlichen Berufsbild des Baumeisters gehöre und erwähnte explizit die Ingenieurbüros als Gegenbeispiel.
Richtig ist, dass die Erstellung von Gutachten nur bei den Ingenieurbüros ausdrücklich im Gesetz als Teil des Gewerbeumfangs angeführt ist. Der Gewerberechtsexperte Dr. Josef Wagner schreibt dazu zutreffend in einem unlängst erschienenen Fachbeitrag, dass dies durch historische Gründe bedingt ist und keineswegs aus der Tatsache, dass nur Ingenieurbüros dazu befugt wären. Für diese wurde durch die Gewerberechtsnovelle 1988 eine Regelung geschaffen, dass auch sie „befugt sind, im Rahmen ihrer Fachgebiete entsprechende Gutachten zu erstellen.“ Gewerbetreibenden, die zur „Erzeugung“ berechtigt sind (worunter auch Baumeister zu verstehen sind), war dies durch § 33 Abs 2 GewO 1973 ohnehin gestattet und bedurfte durch die zusätzliche Legitimation der Ingenieurbüros bisher keiner klarstellenden Regelung. Vor dem Hintergrund der vorliegenden VwGH-Entscheidung wird eine derartige Klarstellung jedoch notwendig sein.
Zusammenfassung
Baumeister mit aufrechter Gewerbeberechtigung dürfen jedenfalls Privatgutachten erstellen. Darüber hinaus können Baumeister, die auch allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige sind, Gerichtsgutachten im Auftrag eines Gerichts erstellen. Wenn sich ein Baumeister in die Liste der Gerichtssachverständigen eintragen lassen möchte, muss er seine Sachkunde gemäß SDG nachweisen. Die Ausnahmebestimmung gemäß § 4a Abs. 2 SDG über den Entfall des Nachweises der Sachkunde, kann laut der VwGH-Entscheidung nicht beansprucht werden, weil die Erstellung von Gutachten nicht explizit im Berufsbild des Baumeisters laut GewO enthalten ist, obwohl er laut GewO sehr wohl zur Erstellung von Privatgutachten befugt ist.
Die geltende Rechtslage hat sich sich in den letzten Jahren nicht als Problem dargestellt. Allerdings tauchten im Zusammenhang mit der VwGH-Entscheidung in letzter Zeit vermehrt Fragen von Baumeistern zu dieser Thematik auf, welche der Baumeisterverband zum Anlass nimmt, eine entsprechende Klarstellung in der nächsten Novelle der GewO zu fordern.