Von den Ursprüngen ins 19. Jahrhundert
Zu den ältesten Zeugnissen der Menschheit gehören Bauwerke, die zum Teil mehr als 5.000 Jahre alt sind. Von manchen Bauwerken kennt man heute Grundmauern, und die Archäologen rätseln über die Funktion eines Gebäudes. Von manchen Bauwerken kennt man den Planer, auch wenn das Gebäude zwischenzeitig wieder zerstört wurde. Antike Bauwerke sind heute zumeist nur noch teilweise erhalten, zu einem geringen Teil sind sie aber bis in die Gegenwart nutzbar (etwa das Pantheon in Rom). So alt wie diese Bauwerke ist die Geschichte der Personen, die sie planten und errichteten. Man darf vermuten, dass rechtliche Bestimmungen zu Bauten nicht wesentlich jünger sind. Als chronologisch letzte Materie hat - wenn auch schon vor mehreren Jahrhunderten - der Gesetzgeber die Frage, wer ein Bauwerk planen und errichten darf, geregelt.
Gewerbeordnung 1859
Diese Regelungen sind in weiten Teilen mittlerweile aber bloß von historischem Interesse, da im Gebiet des heutigen Österreich die Regelungen lange Zeit auf Ebene der einzelnen Länder erlassen worden sind. Erst die Gewerbeordnung von 1859 brachte eine reichsweit einheitliche Regelung, die bis heute – obgleich auch mehrfach überarbeitet – das Fundament der Rechtsgrundlage bildet. Dieses für damalige Verhältnisse als liberal geltende Gesetz unterschied zwischen freien, handwerksmäßigen und konzessionierten Gewerben. Das Baumeistergewerbe war letzterer Gruppe zugeordnet. mehr
Ein Beispiel für die Langlebigkeit bestimmter Bezeichnungen in der Praxis ist in diesem Zusammenhang der Titel „Stadtbaumeister“. Damals war Wien noch ein Teil des Erzherzogtums Österreich unter der Enns, und die für dieses Kronland geltenden Vorschriften unterschieden zwischen dem Baumeister und dem Stadtbaumeister. Der Baumeister durfte überall - mit Ausnahme der Stadt Wien - Bauten planen und errichten. In der Stadt Wien (damals im Wesentlichen das Gebiet der heutigen „Innenbezirke“, also bis zum Gürtel) war dieses Recht hingegen den Stadtbaumeistern vorbehalten. Die GewO 1859 schaffte dieses Privileg und mit ihm auch den Titel ab.
Baumeister und Ziviltechniker
Wurden Bauplanung und Bauausführung bis zu diesem Zeitpunkt als einheitliche Tätigkeit gesehen, begann im Folgejahr in rechtlicher Hinsicht zumindest eine teilweise auseinanderlaufende Entwicklung. Die Verordnung des Staatsministeriums vom 8. Dezember 1860 für die „Organisation des Staatsbaudienstes“ sah vor, dass sich Behörden - heute würde man sagen auf Werkvertragsbasis - auch privater Personen mit Aufgaben, die bei öffentlichen Bauten anfielen, bedienen durften. Darunter waren nicht nur Amtsgebäude zu verstehen, sondern auch Straßen oder Wasserbauten. mehr
Daraus entwickelte sich schließlich der Ziviltechniker als eigener Berufsstand, der 1913 in der „Verordnung betreffend die Ziviltechniker“ eigens geregelt wurde. Damit waren die Kompetenzen zur Planung und Errichtung eines Bauwerks zweigeteilt. Einerseits durften Gewerbetreibende (wie etwa Baumeister) Bauten planen und errichten, andererseits kam dieses Recht auch den Ziviltechnikern zu, wobei das Gesetz hier zwischen „Zivilingenieuren für das Bauwesen (Straße, Wasser, Brücken, Eisenbahn und verwandte Bauten)“ und „Zivilingenieuren für Architektur und Hochbau“ unterschied.
Baugewerbegesetz 1893
Doch zurück zum Baumeister. Da sich die Regelungen in der GewO 1859 als zu kurz und damit lückenhaft erwiesen hatten, regelte der Gesetzgeber mit dem Baugewerbegesetz 1893 die Materie erstmals umfassend für fünf Gewerbe, namentlich Baumeister, Maurermeister, Steinmetzmeister, Zimmermeister und Brunnenmeister. mehr
Das Baumeistergewerbe nahm klar einen Vorrang vor den anderen vier Gewerben ein. Der Baumeister durfte nämlich die Arbeiten aller anderen Gewerbe mit eigenem Personal erbringen (umgekehrt nicht), was aber in bestimmten Orten (im Wesentlichen in den heutigen Landes-hauptstädten) nicht galt. Diese Ausnahme hatte tatsächlich einen wirtschaftlichen Hintergrund. Außerhalb dieser Städte waren Bauunternehmen nicht sehr zahlreich vertreten, und der Gesetzgeber wollte dem Bauherrn die mühsame Suche nach solchen ersparen. In den „ausgenommenen“ Orten gab es hingegen eine entsprechende Anzahl an entsprechenden Unternehmen, sodass hier der Gesetzgeber wiederum diesen eine Chance geben wollte, an entsprechende Aufträge heranzukommen. Für jene Gewerke, die einem Handwerk zukamen (z. B. Tischler, Schlosser), galt diese Ausnahme jedoch nicht. Übernahm der Baumeister auch derartige Aufgaben, musste er die Arbeiten an einen dazu befugten Subunternehmer (Handwerker) weitergeben.
Nur zur Klarstellung: Dem damaligen Gewerberecht war ein allgemeines Generalunternehmerrecht fremd, und diese Bestimmungen waren daher zu jener Zeit in der Tat Sonderbestimmungen für die Bauwirtschaft. Daher war es auch richtig, dass dem Baumeister ein „Generalunternehmervorbehalt“ zukam.
Die Vorrangstellung des Baumeisters kam auch darin zum Ausdruck, dass jedenfalls ihm die Bauleitung oblag, wenn an der Errichtung eines Bauwerks mehrere Baugewerbe beteiligt waren. Darunter ist in der damaligen Diktion etwa die Errichtung eines Gebäudes zu verstehen, bei dem sowohl Baumeisterarbeiten als auch Zimmererarbeiten zu erbringen waren. Bei einem konstrukti-ven Holzbau konnte hingegen der Zimmermeister die Bauleitung übernehmen.